NEUGESTALTUNG DES T-ARTS-MAGAZINS
T-Arts ist am 21. Dezember 2014 umgezogen. Hier die Nachsendeadresse. Die alten Links sind weiterhin aktiv und leiten im besten Fall direkt auf die neue Seite zu dem jeweiligen Artikel. Ab Dezember 2014 werden Artikel nur noch auf der neuen Seite publiziert.

    

Marc Mielzarjewicz - Lost Places Chemnitz

Cover Nicht zum ersten Mal widmet sich der Fotograf Marc Mielzarjewicz in Form eines Buchs „verlorenen Orten“. Vertraut sind ein Übersichtsplan der Orte und die kurzen Recherchen von Sabine Ullrich zu den jeweiligen Gebäuden.

Chemnitz – für eine geschichtlich überschaubare Zeit in Karl-Marx-Stadt umbenannt – ist eine Stadt in Mitteldeutschland. 40 Jahre lang DDR. Marc Mielzarjewicz dokumentiert seine fotografischen Streifzüge in Schwarz-weiß. Doch es sind keine rein dokumentarischen Bilder, die er dem Betrachter präsentiert, sondern lassen diese auch die vergangene Schönheit alter Bauwerke erahnen. Aber ebenso bringt die Sicht auf den Zerfall überraschende Ausblicke, die mit morbidem Charme beeindrucken.

Zum großen Teil handelt es sich bei den besuchten „Lost Places“ in Chemnitz um alte Firmensitze – gegründet im 19. Jahrhundert – mit wechselhafter Entwicklung. Nach dem Krieg wieder in Betrieb genommen, Enteignung, auch Mitnahme von Maschinen durch die russische Besatzungsmacht. Meist waren die volkseigenen Betriebe baulich und ausrüstungstechnisch veraltet und heruntergekommen. Durch die „Wende“ plötzlich der modernen Konkurrenz aus dem Westen ausgesetzt, haben viele reprivatisierte Betriebe nicht lange überlebt. Einige wenige haben es geschafft und sich an neuen Standorten etabliert. Die alten Liegenschaften wurden sich selbst überlassen.

Nun schaut man auf Gebäude, die einer Dokumentationsreihe „X Jahre nach den Menschen“ eines TV-Nachrichtensenders entsprungen sein könnten. Die Macht von Regen und Sonne, Hitze und Frost, und vor allem der Eroberungsdrang der lebenden Natur schaffen faszinierende Veränderungen. Leider kommen hier – anders an in der TV-Doku – noch Brandstiftungen, Vandalismus und Metalldiebstahl hinzu.

Das Titelbild zeigt das verlassene Treppenhaus des ehemaligen Hauptpostamtes. Wenn ich im Gegensatz dazu an die sogenannten heutigen Postshops denke – praktisch und modern – wünscht man sich durchaus in frühere Zeiten zurück. Sicherlich war nicht jedes Zweckgebäude besonders prunkvoll. Aber eben auch nicht schmucklos. Bauliche Notwendigkeiten der Statik wegen wurden kaschiert mit Säulen, Bögen oder Gewölbeandeutungen. Das lockert Flächen auf, schafft Blickruhepunkte.

Interessanterweise hat Marc Mielzarjewicz auch Gebäude der berühmt-berüchtigten „Wismut“ besucht. Die Schaltpulte erscheinen als wären sie noch intakt. Eine beunruhigende Vorstellung. Tische und vertrocknete Zimmerpflanzen, aufgeräumte Schreibtische, Tapeten an den Wänden. Noch sieht es aus, als würde es in Kürze weitergehen…

Durch schräge Glasdächer fällt das Sonnenlicht in große Hallen mit aufgerissen Bodenplatten, Schuttbergen oder auch wuchernden Gestrüpp unter Löchern in der Bedachung. Treppenhäuser, beeindruckend und mit kunstvollen schmiedeeisernen Geländern. Ein etwas ungewohnter Blick in ein Treppengewirr, das irgendwie an Escher erinnert. Anderenorts wurden Zwischenwände einfach weggerissen, Türen hängen sinnlos einzig noch an einem Punkt fixiert und ansonsten frei in der Luft. Industriearmaturen rufen ob ihres gewaltigen Ausmaßes ein „Oh“ hervor. Gusseisen hat eine große Widerstandskraft und so sehen diese Teile aus, als wären diese noch voll funktionstüchtig. Lachen musste ich bei einem Bild aus dem ehemaligen Bahnkraftwerk Hilbersdorf. Das Gewirr von Rohrleitungen ließ mich unwillkürlich an den Film „Brazil“ denken.

All die „Fundsachen“ in diesen Gebäuden legen Zeugnis darüber ab, dass es Arbeit gab, Menschen, Leben. Es gab Produkte, die benötigt wurden. Vorbei. Leere Regalreihen, der verharrende Paternoster, Relaiskästen ohne Relais. Ein Teppich aus Verpackungsmaterial bedeckt den Hallenboden. Heizungskessel vermochten Metalldiebe wohl nicht zu transportieren. Wuchtige und im Betonboden verankerte Blöcke aus Metall, die nun ihrer früher daran angeschlossenen Maschinen, Armaturen, Leitungen beraubt wie amputiert ausschauen. Das Holz der Dielungen und Parkettfußböden wird schon brüchig oder wölbt sich wie aus Protest empor. Wo das Wasser seinen Weg gefunden hat, geht der Zerfall schnell.

Manch Bild wirkt gespenstisch, bedrückend. Wie die Bilder bei der „Wismut“ beispielsweise. Weil hier scheinbar nur der Urlaub der Kollegen etwas länger gedauert hat. Andere Bilder im Spiel des Lichtes, welches durch die Fenster fällt, lassen Trümmer wie eine unwirkliche Filmkulisse aussehen.

Dies ist alles Geschichte und es schwingt ein gewisser Wehmut mit, wenn man an die Schicksale denkt, die mit diesen Gebäuden zusammenhängen. Ob ein Chemnitzer auf diesen Bildern seinen letzten Arbeitsplatz wiedererkennt?

Vielleicht wird es für das eine oder andere Werk oder Haus eine Rettung geben, ein Investor, eine neue Nutzung. Irgendwann. Auf viele Bauwerke wartet aber wohl nur der weitere Verfall. Was jedoch sicher bleibt, sind Erinnerungen und Bilder. Ästhetische Bilder, die den Betrachter die Bedeutung des Abgelichteten vergessen lässt. Unwirkliche Szenarien in Schwarz/Weiß.

Lost Places Chemnitz – eine Stadtführung der etwas anderen Art.

Edith Oxenbauer
Oktober 2014


Erschienen im Mitteldeutschen Verlag
ISBN 978-3-95462-160-6

Weltweite Verknüpfungen