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Lea Streisand - Berlin ist eine Dorfkneipe

Denken Sie sich was dabei, wenn Sie den Namen „Streisand“ lesen? Ich war erst einmal sauer: wieso darf man „Streisand“ heißen ohne Barbra zu sein? Nach Überwindung dieser Hürde taucht die nächste auf: Ein Berliner soll Geschichten über Berlin lesen? Nachdem die berlintypischsten Gegenden neuzeitlich von Menschen bewohnt werden, welche diese nunmehr in Klein-Istanbul oder Schwaben-Ländle umgewidmet haben, stehe ich diesen Berlin-Geschichten im Allgemeinen etwas distanziert gegenüber.

Aber wer ist eigentlich diese Lea Streisand? Jahrgang 1979. Eine „echte“ Berlinerin, die seit 2003 mit ihren Texten auf Lesebühnen unterwegs ist und mit „Berlin ist eine Dorf-Kneipe“ ihr zweites Buch veröffentlicht hat.

Dieses Buch beinhaltet nicht die befürchteten Berlin-Geschichten mit den typischen Klischees: Der „Zauber“ dieser Stadt, die Metropole, weltoffen, Touristenmagnet, und und und... Mitnichten. Es sind sehr persönliche Geschichten. Eher das Denken, Fühlen und Erleben einer jungen Frau; einer jungen Frau mit „Herz und Schnauze“. Lea erzählt von der Familie, von Jobs, von Freunden, von ihrem Wohnkiez. Nun ja, auch Berlintypisches ist Geschichten-Gegenstand. Aber aus dem eigenen Umfeld heraus betrachtet.

Die Geschichten sind glücklicherweise nicht in „Berlinerisch“ geschrieben. Doch merkt ein Ur-Berliner sofort, dass dies keine Zugereiste geschrieben hat. Die Sprache ist so nah, so vertraut, so frech – sehr schön. Und wenn ich in diesen Texten die Frau Lea Streisand persönlich sehe, wie sie gewitzt und phantasievoll durchs Leben wurschtelt und den Tücken das Alltags nur ein Achselzucken widmet; dann ist das wohl die Wahrheit.

Die Beschreibung auf dem Einband verrät: „Berlin ist die Kneipe auf dem verlassenen Marktplatz eines Kaffs namens Brandenburg. Manchmal tanzen wir auf den Tischen, manchmal liegen wir darunter, jeder war schon mal mit jedem im Bett und Weihnachten ist Lokalrunde. Endlich! Nach ‚Wahnsinn in Gesellschaft’ gibt es nun Lea Streisands zweites Solowerk (mit Geschichten aus dem so genannten Großstadtalltag.“

Ich denke, jeder sollte sich selbst ein Bild machen. Das heißt: Lesen! Es sind Situationen beschrieben, die einfach zu komisch sind. Aber sie sind nicht albern beschrieben, sondern sachlich und trocken. Darin liegt der Witz. Kurioses ganz nebensächlich. So ist das Leben. Recht seltsam. Und ob es „typisch“ Berlin ist? Das wage ich zu bezweifeln. Es ist typisch für einen jungen Menschen. In diesem Fall ist es Lea. Lea ohne Bankkauffrau-Job, ohne Eigentumswohnung. Aber vielleicht ist es doch nur in Berlin möglich, unkonventionell und „kodderschnäuzig“ (was außerhalb von Berlin etwa mit vorlaut und frech übersetzt wird) durch die Tage und Nächte zu kommen? Egal. Die Kurzgeschichten sind jedenfalls ein Genuss. Kurzweilig. Und als Berliner kann ich jede einzelne Kurzgeschichte sozusagen „unterschreiben“. Das ist Berlin und hier bin ich zu Hause.

Was sind die Themen? Hier nur einiges:
Ewig diese Filmaufnahmen! Immer ist irgendwo was abgesperrt. Aber man muss dort entlang. Irgendwo lagert kilometerweise herausgeschnittenes Filmmaterial mit unerwünschten Passanten. Die Suche nach Idolen von Jungpionier, über Jesus und Hare Krischna – um dann in die Gegenwart zurückzufinden.
Callcenter-Job mit Heuern und Feuern, Abmahnung, Regeln und Totalausfall.
Eine desillusionierende Schilderung eines Mittelaltermarktes aus der Sicht einer „holden Jungfer“. Oha, da geht die Romantik flöten.
Keine feste Beziehung haben wollen aber Sex? Geht schon. Wenn aber das Verhüterli die Verbundenheit mit dem Ding, was es umhüllte, verliert – dann hilft die „Pille danach“. Die Anmeldung beim Gynäkologen ist nicht separat und das Publikum verfolgt mit unterschiedlichen Emotionen die Problemschilderung. Das kennt man nur zu gut. Nicht nur beim Gynäkologen. „Was haben Sie denn für Beschwerden?“ – als Bühnenauftritt.
Oder: einen Mitbewohner suchen. Der Mietkosten wegen. Ob sich das Suchen und Finden wirklich so locker und amüsant gestaltet wie bei Lea? Es klingt wohl auch nur so.
Ob Beziehungskisten oder die die abgeklärte Sicht einer Erwachsenen gegenüber Jungpubertierenden („Gedanken über die schlimmste Zeit unseres Lebens“) – es klingt immer authentisch. Da ist nichts aufgesetzt, gekünstelt.
Feuerwehrhotline – ich mag diese Hotlines nicht: „Wenn das… dann drücken Sie die Drei“. Solches einzurichten bei der Feuerwehr – na das wäre doch ein toller Gag. Und diese Idee ausufernd weitergesponnen… herrlich.
Und dann die Geschichte „Und immer wieder Himmel“. Ein paar Sätze. Sie merkt sich Gedichte aber keine Termine. Ein Gedicht „…Was sucht ein Suahelihaar denn nachts um drei am Kattegatt?“ Ringelnatz. Sie kennt Ringelnatz. Wenig junge Leute kennen Ringelnatz. Es bleibt nicht das einzige Gedicht: „Übergewicht“, „Heimatlose“. Ein Familienurlaub auf Hiddensee. Da kommt man halt auf solche Gedanken. Auf Hiddensee war Ringelnatz nämlich auch mal.
Sehr nett erzählt ist die Begegnung mit einem Verkehrshüter anlässlich eines Verkehrsdelikts. Da hätte sich eine Gegenstraßenverkehrsamtverschwörung entwickeln können. Drollig. Und so ist mein Zuhause wirklich.
Und dann ein bitterschmunzelnder Seitenhieb gegen die Bahn. Die Bahn als solche. Der es entgangen ist, dass entgegen allem Klimaerwärmungsgequatsche zum Trotz im Winter immer noch Frost ist und Schnee fällt. Speziell der Bahnableger – die Berliner S-Bahn – hat mit jedem scheinbar überraschend stattfindenden Winter nicht gerechnet. Und fährt gelegentlich. Oder auch nicht. Aber das nicht nur im Winter. Man kann dem Unternehmen eine gewisse Konsequenz bescheinigen.
Die letzte Geschichte ist beinahe eine Liebesgeschichte. Wie Oma sich verliebte… rührend und doch wieder wie nebenbei.

„Berlin ist eine Dorf-Kneipe“ ist eine Behauptung, die der Hauptstädter vehement verneinen wollte – es aber nicht kann. Irgendwo trifft man immer wieder Bekannte. Oder zumindest hat man gemeinsame Bekannte. Ganz früher gab es mal die „Insulaner“ – „… das wir uns hier treffen! Mitten auf dem Kürfürstendamm!“ Man trifft sich. Wie in einer Dorf-Kneipe.

Sehr lesenwert. Und hörenswert. Eine waschechte Berlinerin erzählt von ihrem Alltag – eine Hommage an ihr Dorf Berlin. Einfach Klasse!

Edith Oxenbauer
April 2012

Periplaneta – Verlag und Mediengruppe
www.periplaneta.com
Buch & CD, Klappenbroschur, 120 Seiten/69 Minuten, 19 x 13,5 cm
ISBN: 978-3-940767-78-3